Juristische Texte formulieren: Mit aktiven Wörtern verständlicher schreiben.

von | 29. September 2023

Neulich habe ich einen Workshop geleitet, in dem die Teilnehmenden sich mit „schöneren Texten“ befassten. Das Ziel, „schönere Texte“ zu schreiben, weckte meine Neugierde: Denn es ging dabei nicht um coolere Social Media-Posts oder packendere Texte für die Webseite, sondern um juristische Texte. Juristische Texte, die zugleich korrekt und verständlich, informativ und interessant geschrieben sein sollten. Wir beschäftigten uns exemplarisch mit E-Mails und Fachtexten. Was wir herausgearbeitet haben, war für mich sehr aufschlussreich – und gilt sicherlich nicht nur für Jurist:innen. Deshalb fasse ich für Sie die wichtigsten Erkenntnisse zusammen:

  1. Fristen benennen: Wer viele E-Mails bekommt, wird sich umso kürzer mit jeder einzelnen beschäftigen. Daher ist es bei E-Mails, die eine zu erledigende Aufgabe enthalten, wichtig, dass bereits im Betreff die Frist für die Erledigung benannt wird. Ansonsten könnte der Empfänger oder die Empfängerin den Betreff als reine Information verstehen und die E-Mail nicht weiter beachten.
    • Beispiel 1 (ohne Frist): Stellungnahme zum neuen Gesetzesentwurf
    • Beispiel 2 (mit Frist): Stellungnahme zum neuen Gesetzesentwurf bis 15.11.23
  2. Aktiv formulieren: Das Aktiv ist die Tätigkeitsform von Verben. Mit ihm sagen wir, wer etwas getan, erlebt, gedacht hat. In der juristischen Sprache oder im „Amtsdeutsch“ wird hingegen oft das Passiv verwendet, das den Fokus auf das, WAS getan, erlebt oder gedacht wird, lenkt. Diese Formulierung führt jedoch dazu, dass Leser:innen sich nicht angesprochen fühlen und dadurch nicht selbst „aktiv“ werden. Um Menschen also anzusprechen und zu bewegen, sollten Sie im Aktiv formulieren.
    • Beispiel 3 (Passiv): Nächste Woche wird der neue Betriebsrat gewählt.
    • Beispiel 4 (Aktiv): Nächste Woche wählen wir den neuen Betriebsrat.
  3. Verben verwenden: Wie schon das Aktiv sorgen auch Verben (Tu- oder Tätigkeitswörter) dafür, dass die Sprache lebhafter und ansprechender wird. Das Gegenteil ist eine Sprache, in der sich ein Substantiv (Nomen, Hauptwort; endet oft auf -ung, -heit, -keit, -ion) an das nächste reiht. Auch dies ist der typisch behördliche oder juristische Stil, weil Sätze dadurch kürzer und Aussagen vermeintlich präziser werden. Doch die substantivierte Sprache wirkt bleiern und ist auf Anhieb weniger verständlich als die „verbalisierte“.
    • Beispiel 5 (Substantiv-Satz): Die Formulierung juristischer Texte führt mit Wörtern im Aktiv zu mehr Verständlichkeit.
    • Beispiel 6 (Verb-Satz): Juristische Texte werden dadurch verständlicher, dass man sie mit aktiven Wörtern formuliert.
  4. Abkürzungen und Fachwörter erklären: Manche Abkürzung und manches Fachwort kann einigen Leser:innen unbekannt sein. Selbst dann, wenn Sie es bei Ihrer Zielgruppe als bekannt voraussetzen. Erleichtern Sie die Zusammenarbeit, indem Sie Abkürzungen und Fachwörter ausschreiben bzw. erklären. Kommen diese mehrfach vor, können Sie nach dem ersten Mal mit den abgekürzten oder fachsprachlichen Wörtern fortfahren.
    • Beispiel 7 (ohne Erklärung): Die Entscheidung gilt m.E. grds. für alle MdL. Sie sollen ihre Stimme a.a.O. abgeben.
    • Beispiel 8 (mit Erklärung): Die Entscheidung gilt meines Erachtens grundsätzlich für alle Mitglieder des Landtags (MdL). Sie sollen ihre Stimme am angegebenen Ort abgeben.1
  5. Auf Augenhöhe formulieren: Eine Fachsprache ist die Sprache eines bestimmten Fachgebiets. In jeder Fachsprache gibt es spezifische Fachwörter und einen gewissen Stil, sich auszudrücken. Das ist einerseits praktisch, weil sich Fachkundige konkreter austauschen können, doch an der Schnittstelle zur nicht-fachkundigen Öffentlichkeit kann die Fachsprache für ein Ungleichgewicht sorgen. Nach dem Motto: „Ich sage was, was du nicht weißt.“ Dies kann dazu führen, dass Leser:innen die Lektüre abbrechen, sie falsch verstehen oder sie erst „übersetzen“ müssen. Im schlimmsten Fall fühlen sie sich damit überfordert oder frustriert. Daran können wir sehen, dass Sprache Macht ausüben und Gefühle auslösen kann. Formulieren Sie deshalb auf Augenhöhe! Jeder Student würde es seiner Professorin danken … 😉

Die Punkte 2, 3 und 4 kommen übrigens auch in den Richtlinien für einfache Sprache und Leichte Sprache [sic] vor. Mit diesen vereinfachenden Sprachstilen sollen sprachliche Barrieren abgebaut und das Textverständnis erleichtert werden. Sehen Sie dazu auch: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 09-11/2014: Leichte und Einfache Sprache. Herausgeber: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 2014. Zur digitalen Ausgabe.

Möchten auch Sie sich eine verständlichere, schönere oder ansprechendere Sprache erarbeiten? Kontaktieren Sie mich für ein Team-, Gruppen- oder Einzeltraining.

————————————–

  1. Es ist nicht nur hilfreich, „echte“ Fachwörter zu erklären, sondern auch solche Wörter, die in der Alltagssprache anders gebraucht werden. Ein Beispiel ist „grundsätzlich“: Im juristischen Sinne bedeutet es „in der Regel“, also mit möglichen Ausnahmen. Umgangssprachlich wird es im Gegenteil als „prinzipiell“, also ohne Ausnahme, verstanden. Sich dessen bewusst zu sein und entsprechend zu formulieren, macht für mich einen guten Text aus. ↩︎

Weitere Artikel für dich

Keine Ergebnisse gefunden

Die angefragte Seite konnte nicht gefunden werden. Verfeinern Sie Ihre Suche oder verwenden Sie die Navigation oben, um den Beitrag zu finden.